Die Ergebnisse einer neuen Beobachtungsstudie sind eindeutig: Schlafstörungen treten häufig mit Infektionen und Organfunktionsstörungen auf. Für den Mediziner vom MVZ Ärztehaus Mitte in Berlin, Sebastian Pfeiffer, liegt damit der Schluss nahe: „Wenn also die Behandlung der Infektionen zu einer Verbesserung des Schlafs führt, kann die antimikrobielle Therapie von vernachlässigten oder nicht erkannten Infektionen und der durch sie möglicherweise bedingten Organfunktionsstörungen eine Alternative zu oft nicht nachhaltig zielführenden Behandlungsweisen sein.“
In der Beobachtungsstudie wurden 166 Patienten mit chronischen Schlafstörungen umfassend untersucht. Fast alle wiesen Verdauungsbeschwerden auf. 80 Prozent hatten bis dahin unerkannte oder unbehandelte Infektionen (insbesondere Candida spec. und Helicobacter pylori). Die sonografischen Untersuchungen ergaben, dass 45 Patienten (27 Prozent) sichtbare Leberfunktionsstörungen und 33 (20 Prozent) Nierenfunktionsstörungen aufwiesen. (In Kombination mit Untersuchungen der Traditionellen Chinesischen Medizin zeigten sich noch höhere Anteile von Organfunktionsstörungen, insbesondere bei Nieren, Leber und Milz.)
Der Zusammenhang von Infektionen, insbesondere solcher mit pathogenen Hefen und Helicobacter pylori, und Organfunktionsstörungen mit Schlafstörungen ist bisher wenig untersucht. In der Regel werden weder die Diagnostik noch die Therapie von Infektionen im Zusammenhang mit Schlafstörungen berücksichtigt. Selbst in der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM werden Infektionen als Ursache oder Mitverursachung von Schlafstörungen nur allgemein erwähnt. Ähnlich wie bei den Infektionen werden auch Störungen der Organe und ihre Rolle bei der Verursachung von Schlafstörungen in der S3-Leitlinie nicht systematisch berücksichtigt.
Auch eine Empfehlung des Robert-Koch-Instituts von 2004 zur Bedeutung eines Befalls des Darms mit krankmachenden Pilzen für die Entstehung von Krankheiten hat seither kaum Studien initiiert, die diese Lücke schließen könnten. Trotz des so formulierten Bedarfs: „Wie immer, wenn die Datenlage unbefriedigend ist, entsteht Raum für Spekulationen. Eine solche für Patienten wie für die behandelnden Ärzte unbefriedigende Situation lässt sich nur durch sorgfältige Studien und den damit verbundenen Erkenntniszuwachs entschärfen.“
Dass nunmehr hierzu Studienergebnisse vorliegen, ist sehr zu begrüßen. Die Auswertungsergebnisse serologischer und mikrobiologischer Laboranalytik, von Ultraschalluntersuchungen und des EKG-Einsatzes sollte weitere Studien motivieren. Die Dokumentation von Infektionen und Organfunktionsstörungen im Zusammenhang mit Schlafstörungen sollte Anlass bieten, übliche Vorgehensweisen bei der Diagnostik und Therapie zu hinterfragen.
Die erholsamen und regulierenden Eigenschaften des Schlafs sind ein Erfahrungswissen, das inzwischen auch wissenschaftlich anerkannt ist. Der Einfluss des Schlafs auf das Immunsystem wurde in den letzten Jahren verstärkt untersucht. Etliche Studien zeigten zum Beispiel, dass Schlafentzug Komponenten des Immunsystems beeinflussen kann. Umgekehrt werden auch die Schlafmuster während der Immunantwort verändert, was darauf hindeutet, dass Schlaf und Immunantwort durch eine in beide Richtungen verlaufende Kommunikation miteinander verbunden sind. Schlaf ist nicht nur ein physiologischer Zustand, in dem Aktivität und Wachsamkeit abnehmen, sondern ein lebenswichtiger Prozess, der verschiedene physiologische Funktionen reguliert.
Wechselwirkungen zwischen Gehirnaktivitäten und Immunsystem betreffen also auch den Schlaf. Deshalb ist die Frage, welche Rolle krankheitserregende Pilze und Bakterien durch wirkungsverstärkendes Zusammenspiel bei der wechselseitigen Beziehung von Schlafstörungen und Entzündungsgeschehen spielen, von besonderem Interesse. Die neue Studie ist deshalb auch interessant, weil sie sich auf das Thema „Schlaf“ im Zusammenhang mit Körperfunktionen fokussiert – und damit gegenüber oft rein psychischen Betrachtungsweisen andere Perspektiven eröffnet.
In der ärztlichen Praxis werden Schlafstörungen weitgehend isoliert betrachtet und im Kontext psychischer oder sozialer Rahmenbedingungen diagnostiziert und behandelt. Die Therapie beschränkt sich oft auf das Verschreiben von Schlafmitteln, die Ermittlung des Schlafverhaltens in Schlaflaboren und die Empfehlung mechanischer Schlafhilfen, die Empfehlung von Entspannungsübungen wie Meditation, von Verhaltensänderungen gegen Übergewicht und Bewegungsmangel, zur Minderung von psychischem Stress bis zur Psychotherapie. All diese Maßnahmen können unterstützend sein, sei es zumindest temporär – oder bei entsprechender Verursachung auch längerfristig.
Beobachtet man aber wie die neue Studie Patientengeschichten mit teils sehr langen chronischen Schlafstörungen (mehr als ein Jahr bis mehr als zehn Jahre!), dann findet man bei ganzheitlicher Betrachtung körperliche Ursachen, die oft auch in der Fachliteratur leider keine Beachtung finden. Denn die oben genannten Behandlungsmaßnahmen bleiben oft dauerhaft ohne Verbesserung. Zusätzlich stellen sich bei längerfristigem Konsum der Medikamente noch Nebenwirkungen und Suchtverhalten ein. Angesichts dessen erscheint es sinnvoll, mögliche Verursachungsketten in Betracht zu ziehen, die bisher in der ärztlichen Praxis wenig bis gar nicht berücksichtigt werden.
Die meisten Menschen kennen aus eigener Erfahrung die Schlafmenge, die sie benötigen, um erholt und ausgeschlafen zu sein. Als „chronisch“ gilt in der Regel eine Schlafstörung (Insomnie), wenn Menschen über einen längeren Zeitraum (mehr als sechs Monate, auch trotz Therapieversuchen) keine Schlaferholung finden und sich in ihrer Lebens- und Leistungsqualität dadurch dauerhaft beeinträchtigt empfinden. Insofern verweist die neue Studie auch darauf, dass die frühzeitige Beachtung von gemeinsam auftretenden akuten Schlaf- und Verdauungsstörungen dazu beitragen kann, chronische Verläufe zu verhindern.
Die Frage, ob Infektionen und mit ihnen verbundene Verdauungs- und Organfunktionsstörungen in Wechselwirkung ursächlich für Schlafstörungen sind, können laut Pfeiffer nur ein Monitoring von Behandlungserfolgen und weitere Studien klären. In Hinblick auf die Therapie wurden die in der Studie beobachteten Patienten parallel komplementärmedizinisch untersucht. Puls- und Zungendiagnostik der Traditionellen Chinesischen Medizin wurden von den Patienten ergänzend zu allgemein- und fachmedizinischen und labormedizinischen Diagnoseweisen wahrgenommen. Diese und die anschließende schulmedizinische und komplementärmedizinische Behandlung der Patienten waren jedoch nicht Gegenstand der hier dargestellten Studie. Die Auswertung der Ergebnisse des Monitorings der Behandlungserfolge muss deshalb metaanalytischen Bewertungen überlassen bleiben.