Das „Pulslesen“ hat in der Medizin eine lange Tradition und wird sowohl in der westlichen als auch in der östlichen Medizin als fester Bestandteil der Diagnostik verwendet. In der westlichen Medizin gibt der Puls primär Auskunft über die Herzaktivität. In der Tradition der chinesischen Medizin erfolgt eine Erweiterung dieser Methode – es werden wesentlich mehr Pulse als in der westlichen Medizin zur Diagnose, auch weiterer Organe, genutzt: 28 Pulse werden an den beiden Handgelenken an drei Stellen und in drei Tiefen ertastet.
Die verschiedenen Pulspositionen werden jeweils unterschiedlichen Organen zugeordnet: In drei Tiefen (Hautoberfläche, mittlere und tiefe Ebene) wird die Art des Pulses ermittelt. Bestimmt werden Volumen, Rhythmus, Frequenz und Form der Pulse. Damit können Mangel, Fülle oder Disharmonien in den Organen und bei ihren Funktionen unterschieden werden.
Der Puls wird an beiden Handgelenken jeweils an drei Stellen getastet: Von der Hand (distal) Richtung Schulter (proximal): Cun, Guan, Chi. An diesen Stellen werden durch Betasten je drei Druckstärken ausgeübt: oberflächlich, mittel, tief.
Auf die Pulstaststellen werden Zeige-, Mittel- und Ringfinger so aufgelegt, dass der Zeigefinger distal nah am Handgelenk liegt. Es wird mit der linken Hand am rechten Handgelenk und mit der rechten Hand am linken Handgelenk getastet. Es werden die Fingerkuppen (nicht die Fingerspitzen) benutzt. Das Tasten erfolgt in drei Druckstärken (oberflächlich, mittel und tief), erst mit allen drei Fingern zugleich, anschließend jeweils mit den Fingern getrennt. Der Patient sollte dabei sitzen.
Pulsdiagnostik benötigt sehr große Erfahrung. Der normale Puls allein ist schon abhängig von Geschlecht, Körperbau, Jahreszeit, Region, Tageszeit. Tastbar ist der normale Puls an allen drei Pulsstellen in mittlerer Stärke. Er ist ruhig und gleichmäßig.
Ein normaler Puls besitzt drei Eigenschaften:
Magen-Qi, SHEN und die Wurzel.
Magen-Qi: harmonischer und kräftiger Pulswellenablauf
SHEN: Puls sanft, harmonisch, kräftig
Wurzel: kräftiger Puls an der CHI-Stelle
An Abweichungen vom normalen Puls erkennt der erfahrene TCM-Arzt Störungen der Organfunktionen. Im Zusammenhang mit anderen diagnostischen Erkenntnissen (z. B. Zungendiagnostik) entsteht so ein Spiegel des Beschwerdenbildes in den Organfunktionen.